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Individuelle HMI-Bauteile in einem Schritt fertigen: Eine Konsole für den Autohimmel

Fürth, 14. März 2022: Elektromobilität und zunehmend autonome Fahrzeuge verändern auch das Automobilinterieur. Gefragt sind dafür zukunftsorientierte Konzepte, die Design und Funktionalität miteinander verbinden und sich an die individuellen Bedürfnisse der Insassen anpassen lassen. Ein gutes Beispiel dafür ist eine von LEONHARD KURZ gefertigte Konsole für den Dachhimmel. Besonders interessant für Automobilhersteller und Zulieferer ist diese, da sie sich in nur einem Produktionsschritt fertigen lässt.

Im selbstfahrenden Auto von morgen verwandelt sich das Wageninnere in ein zweites Wohnzimmer. Das Design gewinnt deshalb stark an Bedeutung. Beflügelt wird dieser Trend zudem von der Elektromobilität, die als Teil eines umweltbewussten Lebensstils empfunden wird. E-Fahrzeuge greifen diesen Lifestyle im Design auf: Intelligente Gestaltung mit eleganten Formen löst die herkömmlichen Elemente des klassischen Verbrennerautos ab.

Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen Automobilhersteller ihre Strategien an diese neuen Anforderungen anpassen. Dabei verwandeln sie sich einem Forschungsreport des Instituts für sozialwissenschaftliche Forschung (ISF) München zufolge ein Stück weit in Techunternehmen. Gefragt sind etwa verstärkt intelligente Schnittstellen zwischen Insassen und Fahrzeug. Dem Markt für Human-Machine-Interface-Lösungen wird in den kommenden Jahren ein starkes Wachstum prognostiziert: Aktuellen Studien zufolge werden die in diesem Bereich weltweit erzielten Umsätze bis 2025 um mehr als 527 Mio. USD steigen. Gefragt sind dabei vor allem intelligente Bauteile, bei denen Funktion und Dekor miteinander verschmelzen.

 

Technologischer Fortschritt dank gebündelter Kompetenz

Ein Beispiel dafür hat der Kunststoffverarbeiter Leonhard Kurz gemeinsam mit mehreren Partnerunternehmen auf der Fakuma 2021 vorgestellt. In Zusammenarbeit mit dem Spritzgießmaschinenhersteller Wittmann Battenfeld, dem Hersteller komplexer Kunststoffbauteile Syntech Plastics, dem Lichtexperten ams Osram Automotive Lighting Systems (AMLS) sowie den Kurz-Tochterunternehmen PolyIC und Baier ist ein Konzeptbauteil für den Dachhimmel entstanden (Bildmaterial – HMI-Demonstrator). Das Modul zeichnet sich durch seine nahtlose, komplett geschlossene, 3D-geformte Oberfläche mit integrierter Touchbedienung aus (Bildmaterial – Touch-Buttons). Diese wurde per In-Mold-Electronics-Verfahren umgesetzt. Über das Modul lassen sich verschiedene Funktionen steuern, etwa das Ambiente- sowie das Leselicht und das Schiebedach. Der Clou des Bauteils: So gut wie alle Merkmale sind individuell einstellbar. Die integrierte Lichtprojektion ermöglicht es, Informationen und Animationen auf verschiedenen Oberflächen im Wageninneren abzubilden.

Beim Stichwort HMI ist der erste Gedanke meist Displays für das Armaturenbrett oder Konzepte für die Mittelkonsole. Doch intelligente Steuerung lässt sich gemeinsam mit ansprechender Gestaltung in allen Bereichen des Automotive-Interieur-Designs umsetzen. Das Dachhimmelmodul zeigt deutlich, wie sich mithilfe moderner Technologien mehrere Elemente, Schalter und Regler durch ein einzelnes, optisch ansprechendes Bauteil ersetzen lassen.

Für die Umsetzung war die Fachkompetenz aller am Projekt beteiligten Unternehmen essenziell, betont Christoph Stuhlinger, Technical Program Manager und HMI Program Manager bei Kurz: „Wir setzen uns bereits heute mit den Technologiestandards von morgen auseinander. Um ambitionierte, zukunftsfähige Konzepte mit ideal aufeinander abgestimmten Funktionen zu realisieren, brauchen wir das vertiefte Wissen unserer Partner. Bei der Dachhimmelkonsole war das etwa im Hinblick auf die 3D-verformten Sensoren und den integrierten Projektor notwendig.“

 

Herstellen, dekorieren, funktionalisieren in einem Schritt

Das Konzeptbauteil demonstriert gleich mehrere fortschrittliche Technologien, die sich im Rahmen der Rolle-zu-Rolle-Produktion realisieren lassen und sich gegenwärtig bereits für die Serienfertigung eignen. Beispielsweise wird die Konsole mithilfe von In-Mold-Dekoration (IMD) im Rahmen eines One-Step-Prozesses hergestellt, dekoriert und mit extrem dünnen Touchsensoren versehen (Bildmaterial – Detail HMI-Demonstrator).

Dabei kommt eine servohydraulische Spritzgießmaschine von Wittmann Battenfeld zum Einsatz. Im Spritzgießvorgang wird die Kunststoffmasse mit dem Dekorationsmotiv zusammengeführt. Bedingt durch die Temperatur in der Schmelze und ebenfalls durch den Werkzeuginnendruck verbindet sich das Design (Gesamtdekorsystem) mit dem Kunststoffmaterial untrennbar und wird auf die Oberfläche des Bauteils im Spritzgießzyklus übertragen. Das Verfahren ermöglicht die Fertigung stark 3D-verformter Bauteile. Bei dem Dachhimmelbauteil deckt die Dekoration an der Bauteilkante den gesamten Kantenradius und die Bauteilwanddicke mit ab. Dadurch wird ein möglicher Lichtaustritt in diesem Bereich verhindert.

Für Automobilhersteller ergeben sich durch die Bündelung der Produktionsschritte zu einem einzigen Prozess mehrere Vorteile: Zum einen sparen sie Ressourcen ein, zum anderen erlaubt die In-Mold-Dekoration besonders viele Designfreiheiten. In der Automobilindustrie lässt sich ein anhaltender Trend zur Individualisierung beobachten.

Endkunden wünschen sich ein Design, das zu ihnen passt – und Autohersteller bleiben wettbewerbsfähiger, wenn sie unterschiedliche Gestaltungsoptionen verwirklichen können. Wichtig ist dabei allerdings auch die kosteneffiziente Fertigung. Um beides – einen hohen Grad an Individualisierung und die wirtschaftliche Produktion – miteinander zu verbinden, eignet sich der IMD-Prozess sehr gut. Dieser ermöglicht unterschiedliche Optionen – von Hochglanz- und matten Oberflächen über Holzoptik bis hin zu technischen Designs und Softtouch-Effekten, die auch den Tastsinn ansprechen.

 

Intelligente Sensorintegration

Ein weiterer Vorzug der IMD-Fertigung: In Kombination mit funktionaler In-Mold-Labeling-Integration (IML) – also dem Aufdruck elektronischer Leiterbahnen, auch In-Mold-Electronics (IME) genannt – ermöglicht es der Prozess, dreidimensional verformte Bauteile mit Touchsensoren zu versehen. Während auf einer Seite des für den gemeinsamen IMD- und IME-Prozess spezifischen Spritzgießwerkzeugs mittels Folienvorschubgerät das Trägermaterial inklusive Dekorationsbeschichtung mit Lichtleitsensoren positioniert wird, legt man in die gegenüberliegende Kavität den kapazitiven Touchsensor (IME-Label) ein.

Auf der Fakuma präsentierte Kurz eine Weiterentwicklung des Prozesses: die sogenannte „Tail aus der Mitte“- Sensorintegration. „Das Besondere am Verfahren ist der Einsatz einer Schiebevorrichtung, die den Sensor-Tail, als den Kontaktierungsbereich zum Controller, in einen 45-Grad-Winkel zum Bauteil bringt, sodass dieser nicht mit der Kunststoffschmelze in Berührung kommt“, erläutert Programmmanager Stuhlinger. „Die intelligente Führung ermöglicht eine Anschlussposition des Sensors zum Controller aus der Bauteilmitte und nicht über die Bauteilaußenkante. Das bringt einen zusätzlichen Vorteil mit sich, da die Dekoration an der Bauteilkante nicht unterbrochen wird. Zudem gewährleistet die zusätzliche Antihaftbeschichtung des Sensor-Tails den problemlosen Anschluss auf der Rückseite“, fügt er hinzu. Nach dem Spritzgießprozess wird die gesamte dekorierte Oberfläche mit Hilfe von UV-Licht final ausgehärtet, um die höchsten Oberflächenspezifikationen zu erfüllen.

 

Bauteilreinigung als Inline-Prozess

Erstmals wurde in dieser Anlage auch ein Bauteilreinigungskonzept von der Kurz-Tochter Baier mit eingebunden, um Restlackpartikel berührungslos mittels einer speziellen Düsentechnik schnell im Inline-Prozess zu entfernen. Beide Anwendungen wurden in einer Anlage zusammengefasst und bilden in dieser Zusammenführung eine kompakte Gesamtlösung.

Als Sensoren kommen PolyTC-Sensoren der Kurz-Tochterfirma PolyIC zum Einsatz. Die sehr dünnen Sensorfilme sind besonders flexibel und gleichzeitig robust. Aufgrund dieser Eigenschaften eignen sie sich für Bauteile mit geschwungener, verformter Oberfläche.

Eine weitere Besonderheit zeichnet das Trägermaterial der Sensoren aus: PolyIC benutzt transparentes Kunststoffsubstrat, dem silberbasierte Metallstrukturen, sogenannte Metal Mesh, hinzugefügt werden. Die Metallschichten sind mit wenigen Nanometern extrem dünn und machen somit nur einen geringen Anteil aus. Aus diesem Grund können die Sensoren mit dem Bauteil dem Recyclingprozess zugeführt werden. Gleiches gilt für die gesamte Dekorationsschicht auf der Vorderseite. Dadurch ergibt sich ein entscheidender Vorteil dieser Dekorations- und Funktionsintegrationstechnik im Hinblick auf die Nachhaltigkeit.

Die Dachhimmelkonsole demonstriert unter anderem, welche Sensorarten sich in ein Interieurmodul integrieren lassen: Neben fünf kapazitiven Touchsensoren mit haptischem Feedback ist ein Touch-Slider zur Steuerung des Ambiente- und Leselichts eingebaut. Die hauchdünnen, für das menschliche Auge unsichtbaren Sensoren im direkten Sichtbereich der LED-Lichtflächen werden nicht nur hinterleuchtet, sondern komplett durchleuchtet. Das sorgt für einen besonders hohen Grad an Transparenz. Für die einzelnen Bedienfelder sind zwar bestimmte Funktionen vorgesehen, doch sie lassen sich auch individuell belegen. Die Option zielt ebenfalls auf den Wunsch der Endkunden, das Wageninnere an die eigenen Bedürfnisse anzupassen.

 

Das Automobilinnere individuell beleuchten

Auch das Licht im Fahrzeuginneren lässt sich individuell einstellen. Für die integrierte Lesebeleuchtung im Dachhimmel-Modul hat ams Osram AMLS Matrix-LED-Spots entwickelt. Die Kegelgröße des Leselichts lässt sich in unterschiedlichen Stufen adaptieren und auch die Weißtöne können an den Geschmack der Fahrzeuginsassen angepasst werden. Über die Ambientebeleuchtung sind verschiedene Lichtszenarien mit individuellen Einstellungen in den gewünschten RGB-Farben abrufbar – etwa zur Begrüßung.

Dank Shy-Tech-Design offenbart das Konzeptbauteil seine Geheimnisse nicht gleich auf den ersten Blick. Die Lichtstrukturen sind etwa im Dekor in der Regel unsichtbar. Geht aber beispielsweise ein Anruf ein, leuchten sie passend zur gewählten Ambientebeleuchtung auf (Bildmaterial – Detail HMI-Demonstrator). Ein weiteres Highlight des Konzeptbauteils ist der eingebaute Logoprojektor von ams Osram AMLS. Dieser ermöglicht es, Informationen und statische Designs, aber auch dynamische Motive wie Animationen auf verschiedene Oberflächen im Wageninneren zu transportieren und sie beispielsweise auf die Mittelkonsole oder das Dashboard zu projizieren. Auch diese Funktion lässt sich in Sachen Design und Farbwahl an das Ambientelicht sowie an die jeweilige Fahrsituation anpassen.

 

Nachhaltigkeit entlang der Wertschöpfungskette

Individuell anpassbare Funktionen und ein angenehmes Ambiente sind für die Endkunden wichtig – und die effiziente Produktion eines Bauteils für Autohersteller sowie Zulieferer. Für beide Seiten spielt außerdem die Nachhaltigkeit eine wichtige Rolle. Die Overhead Lighting Console ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich Automotive Interior Design umweltschonend umsetzen lässt.

Durch die Fertigung des Dachhimmelmoduls inklusive Dekoration und Sensorintegration im Rahmen eines einzigen Arbeitsschrittes sind keine weiteren Prozesse notwendig, was sich unmittelbar und merklich auf die CO2-Bilanz auswirkt. „Darüber hinaus übertragen wir beim IMD-Verfahren die Dekorationsschichten als Trockenlacksystem. Dadurch vermeiden wir zum einen Nasslackverschmutzung. Zum anderen braucht es keine Nachtrocknungsenergie“, ergänzt Programmmanager Christoph Stuhlinger.

Das Verfahren erlaubt außerdem gut den Einsatz von Rezyklaten im Spritzgießprozess. Zudem sind sowohl das mittels IMD angefertigte und veredelte Bauteil als auch die integrierten Touchsensoren vollständig recyclingfähig. Das HMI-Konzeptmodul zeigt somit, dass sich ansprechendes Design, ausgeklügelte Funktionalitäten und nachhaltige Herstellung nicht gegenseitig ausschließen müssen. Um langfristig in der Automobilindustrie wettbewerbsfähig zu bleiben, ist es für Hersteller und Zulieferer essenziell, alle drei Aspekte miteinander zu verbinden.

 

Fertigungszelle auf der K 2022

Das ambitionierte Projekt mit dem „Kurz-One-Step-Prozess“ als Basisvorgabe stellte hohe Anforderungen an alle Beteiligten – auch an den Bauteilfertiger Syntech Plastics. Anfang 2022 übernahm das Unternehmen schließlich die gesamte Fertigungszelle in seinem Werk in Steinfeld. Die Anlage wird als Show-Highlight live am Stand von Wittmann Battenfeld auf der K-Messe 2022 in Düsseldorf zu sehen sein und dort im Vollautomatikserienprozess vorgeführt.
 

 

Aus der Ausgabe Kunststoffe 3/2022

Das gemeinsame Projekt aus Sicht unseres Partners Syntech Plastics GmbH finden Sie im ebenfalls in der Ausgabe 3/2022

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